Ep. 54 - Futility
- norbertaeppli
- 12. Juni 2022
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Juni 2022
Hallo zusammen
Wie schon letzte Woche erwähnt geht es heute um den Begriff der Futility, ein ziemlich kontrovers diskutierter Begriff, welchen die SAMW in einem sehr schönen Dokument versucht von allen Seiten her zu beleuchten:
Die SAEZ hat im Dezember 21 einen zusammenfassenden Artikel publiziert:
Ich empfehle euch aber sehr die Empfehlungen der SAMW im ersten Dokument zu lesen (es sind zwar 20 Seiten, jedoch finde ich braucht es bei einem so komplexen Thema ein paar zusätzliche Worte.
Ich habe mal versucht die mir wichtigen erscheinenden Themen/Passagen des Empfehlungsschreibens zusammenzutragen:
Futility bedeutet im medizinischen Kontext, dass eine Behandlung wirkungslos und/oder aussichtslos ist. Es ist umstritten, wie weit Einschätzungen der Futility evidenz- und erfahrungsbasiert und inwiefern sie von Werturteilen geprägt sind.
Wirkungslos: Eine Therapie wird als wirkungslos bezeichnet, wenn das angestrebte Therapieziel nicht erreicht werden kann, selbst wenn eine kurzzeitige Verbesserung einzelner physiologischer Parameter möglich ist.
Ausichtslos: Eine intensivmedizinische Behandlung wird als aussichtslos betrachtet, wenn entweder von vornherein oder aber im Verlauf der Therapie festgestellt werden muss, dass der Patient nicht mehr in ein angemessenes Lebensumfeld zurückkehren kann.
In der Verwendung des Begriffs «Futility» wird nicht immer klar zwischen Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit unterschieden. Die Debatte zum Verständnis und zur Verwendung des Begriffs lässt sich jedoch in mindestens drei zusammenhängende Kontroversen einbetten:
Wie ist das Verhältnis zwischen objektiven/faktischen und subjektiven/wertegeladenen Einschätzungen und Entscheidungen zu verstehen?
Welches Gewicht soll der medizinischen Autorität oder Expertise einerseits und der Patientenautonomie andererseits zukommen?
Was gilt, wenn die Bewertungen der Outcomes seitens der Ärztinnen und der Patientinnen bzw. deren Angehörigen im Widerspruch stehen?
Einige Autoren zielen darauf ab, eine objektive Definition zu formulieren. Die häufig zitierten und verwendeten Definitionen der quantitativen und qualitativen Futility stammen von Schneiderman et al. Die quantitative Futility besteht in der medizinischen Einschätzung aufgrund empirischer Daten, dass die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs (z.B. Wiederherstellen eines Kreislaufs) unter 1% liegt. Demgegenüber umschreibt die qualitative Futility Zustände, in denen die Patientin aufgrund ihrer Werthaltung keinen Nutzen in einer Behandlung sieht (z.B. eine absolute Abhängigkeit von intensivmedizinischer Versorgung). Während die quantitative Futility sich auf Behandlungsziele bezieht, rückt bei der qualitativen Futility die Lebensqualität der Patientin in den Blick.
Ein weiteres häufig verwendetes Konzept ist das der physiologischen Futility. Es bezieht sich auf physiologische Effekte und Ziele, die mittels der Therapie nicht erreicht werden können. Dieses Konzept entspricht am ehesten der Definition von Wirkungslosigkeit gemäss SAMW-Richtlinien, kann sich aber auch auf Aussichtslosigkeit erstrecken. Mehrere Fachgesellschaften haben in einem gemeinsamen Policy-Statement vorgeschlagen, den Begriff der «medical futility» auf die physiologische Wirkungslosigkeit zu beschränken und für alle Formen der Wirkungs- und Aussichtslosigkeit, die eine evaluative Komponente umfassen, den Begriff «potenziell unangemessen» (potentially inappropriate) vorgeschlagen.


Die nachfolgenden Empfehlungen sollen zum bewussten Umgang mit dem Konzept der Futility anregen, und zwar insbesondere in Situationen, wenn Wirkungs- oder Aussichtslosigkeit – unabhängig von den Patientenpräferenzen – nicht eindeutig ist («Medizin berät»/«Grauzone»).
Klärung des Behandlungsziels Das übergeordnete Ziel der Behandlung muss gemeinsam mit der Patientin bzw. deren Vertreterin geklärt werden. Dies setzt voraus, dass medizinische Fachpersonen Vorstellungen und Wissensstand der Patientin berücksichtigen, ihren Bedürfnissen, Wünschen und Befürchtungen Rechnung tragen und ihre Präferenzen erfragen.
Anerkennen des eigenen «Bias» Indikationsstellungen stützen sich nicht nur auf objektive Fakten, sondern sind mitunter durch nichtfachliche Motive beeinflusst. So können beispielsweise subjektive emotionale Bewertungen von Krankheitssituationen oder von Patientengruppen, die Angst vor heiklen Gesprächen, aber auch Interessenkonflikte auf die fachliche Beurteilung abfärben.
Interprofessionalität Indikationsstellungen sollen interdisziplinär und multiprofessionell (im Team) gefällt werden. Die Spezialisten sind in die Beurteilung der Wirkungslosigkeit bzw. Aussichtslosigkeit einzubinden.
Biopsychosoziale Perspektive auf die Patientin In die Entscheidung über die Zweckmässigkeit und/oder Wirksamkeit einer Behandlung sollen nicht nur physiologische, sondern auch psychologische und soziale Aspekte eingeschlossen werden.
Berücksichtigung der Werte und Weltanschauungen der Patientin Persönliche Werte und Weltanschauungen oder auch kulturelle Prägungen der Patientin beeinflussen das Verständnis von Selbstbestimmung, wirken auf das Krankheits- und Heilungsverständnis zurück und können dazu führen, dass Behandlungsmöglichkeiten und Prognose unterschiedlich gewichtet werden. Dem gilt es Rechnung zu tragen, soweit es sich um ausgehandelte Indikationen bzw. um Indikationen in der «Grauzone» handelt.
Betonung des Dialogischen Die Kommunikation/das Dialogische dient dazu, Bedürfnisse der Patientinnen und Angehörigen zu erkennen, Vertrauen aufzubauen und gute Entscheidungen zu erreichen.
Transparenz Indikationsstellungen sollen auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz, der medizinischen Erfahrung und der Patientensituation erfolgen. Wenn die Wirksamkeit einer Therapie oder die Prognose nicht mit Sicherheit eingeschätzt werden kann, ist dies transparent darzulegen und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen (subjektive Wertung der Patientin).
Frühzeitige Integration von Palliative Care Es ist wichtig, den Patientinnen verständlich zu machen, dass Therapielimitierungen (Verzicht und Abbruch) nicht das Ende der Behandlung bedeuten, sondern dass der Fokus auf Palliative Care gelegt wird. Auch wenn Therapien mit Blick auf ein Weiterleben bei akzeptabler Lebensqualität «aussichtslos» sind, können auch bei einer Verschiebung des Behandlungsziels hin auf Palliation wirksame und höchst zweckmässige Interventionen in Anspruch genommen werden. Fachgesellschaften, Pflegeorganisationen und Patientenorganisationen sind aufgefordert, die Diskussion über diese komplexe Thematik aufzunehmen
Nächste Woche geht es allgemein um medizin-ethische Richtlinien bei intensivmedizinischen Massnahmen (ebenfalls von der SAMW).
Bis dahin, liebe Grüsse aus Tübingen
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