Ep. 103 - Reanimationsentscheidungen
- norbertaeppli
- 20. Mai 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juli 2023
Hallo zusammen
Heute das Thema (Reanimationsentscheidungen) der letzten Montagsfortbildung, welche aufgrund des ICM-Kränzlis nicht stattgefunden hat und aufgrund dessen Wichtigkeit ich es euch heute allen präsentiere. Ebenfalls mit dabei der Inhalt von Agos Weiterbildung zum Thema Transport unter Reanimation. -> seine PPT
Ganz grob zusammengefasst:
REA-Abbruch erwägen bei (eher additive Punkte):
20min laufende REA mit Asystolie ohne jemals ROSC und Fehlen von wahrscheinlich reversiblen Ursachen
unbeobachteter Kreislaufstillstand und nicht-schockbarer initialer Rhythmus
schwere Begleiterkrankungen, hochbetagt
Transport unter REA mit Ziel ECMO-Einlage (KSSG oder USZ, KSW bietet keine va-ECMO an). Einlage sollte innerhalb 1h nach REA-Beginn sein.
Koro unter LUCAS/Autopuls wird praktisch nicht mehr durchgeführt aufgrund schlechten Interventionsbedingungen
Kriterien für Transport unter REA können sein:
junger Patient (ca. <65 J.) + beobachteter Kreislaufstillstand + refraktäres Kammerflimmern
Hypothermie
Nun zum zweiten Teil:
Hauptquelle ist die SAMW-Homepage mit dem speziellen Abschnitt Reanimationsentscheidungen
Ein insgesamt eher langes Dokument. Wenn dann empfehle ich das Kapitel 5 und 6 mit Fokus auf spezielle Patientenpopulation (Behinderte, Betatgte, Neugeborene, Kinder) und speziellen Situationen (periinterventionel, Suizid, Stempel "keine REA", im Pflegeinstitution).
Der FAQ-Abschnitt bietet auch eine gute Zusammenfassung:
Wann wird eine Reanimation als erfolgreich bezeichnet? Zur Beurteilung des Reanimationserfolgs stellen die Richtlinien nicht nur darauf ab, ob bei einer Person der spontane Kreislauf (ROSC; Return of Spontaneous Circulation) wiederhergestellt werden kann und sie bis zur Spitalentlassung überlebt. Entscheidend ist, dass die Person ohne schwerwiegende neurologische Folgeschäden und mit einer für sie guten Lebensqualität weiterleben kann. Zur Beschreibung des neurologischen Zustands stützen sich die Richtlinien auf die sog. «Cerebral Performance Category». In diesen Kriterien sind jedoch nicht alle möglichen Spätfolgen abgebildet. Ein wichtiger zusätzlicher Faktor, um das Ergebnis einer Reanimation zu beurteilen, ist das subjektive Erleben bzw. die Zufriedenheit mit der (neuen) Lebenssituation.
Wie wird die Prognose im Einzelfall abgeschätzt? Das Abschätzen der Prognose ist äusserst schwierig. Zwar gibt es statistische Angaben zu einzelnen Patientenkollektiven, diese lassen aber oft keine präzisen Aussagen über den Einzelfall zu. Um den Reanimationserfolg abzuschätzen, werden teilweise Scoring-Systeme eingesetzt, die vorbestehende Beeinträchtigungen und/oder Krankheiten quantifizieren. Noch immer sind die Chancen auf ein Weiterleben nach einem Kreislaufstillstand ohne wesentliche gesundheitliche Defizite niedrig. In den letzten Jahren hat jedoch der Anteil erfolgreicher Reanimationen mit gutem neurologischem Ergebnis zugenommen. Drei Faktoren haben dazu wesentlich beigetragen: 1) die Verbesserung der sogenannten «Überlebenskette», 2) bessere Kenntnisse von prognostisch ungünstigen Faktoren und 3) eine gewisse Enttabuisierung der Thematik, womit das Erfassen und Dokumentieren des Patientenwillens zugenommen und Reanimationsversuche mit ungünstigem Ergebnis abgenommen haben.
Wann ist ein Reanimationsversuch aussichtslos? Als aussichtslos wird ein Reanimationsversuch gemäss Richtlinien bezeichnet, wenn es prognostisch hochwahrscheinlich ist, dass eine kurz- oder mittelfristige Lebensverlängerung mit einer aus Sicht der betroffenen Person erträglichen Lebensqualität ausgeschlossen ist.
Welche Rolle spielen Faktoren wie Geschlecht, Alter, Komorbiditäten? Die Richtlinien weisen darauf hin, dass es signifikante Geschlechtsunterschiede gibt. So haben Frauen, die ausserhalb des Spitals einen Kreislaufstillstand erleiden, gemäss Studien ein schlechteres Langzeitüberleben. Dies hat verschiedene (behebbare) Ursachen, etwa dass Frauen nach einem Kreislaufstillstand weniger häufig als Männer eine invasive Diagnostik erhalten und weniger oft medikamentös oder intensivmedizinisch behandelt werden. Hohes Alter und Gebrechlichkeit sind prognostische Faktoren. Auch wenn in den Richtlinien z. B. eine Altersgrenze angegeben wird, handelt es sich nur um Anhaltspunkte, die im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Zur Abschätzung der Gebrechlichkeit gibt es verschiedene Skalen und jede hat ihre Vor- und Nachteile. SAMW-Richtlinien stellen in der Regel auf die Gebrechlichkeitsskala nach Rockwood ab, die für Menschen ab 65 Jahren entwickelt wurde. Entscheidend ist jedoch auch hier die geschätzte Prognose im Einzelfall.
Warum ist es wichtig, sich frühzeitig mit dem Entscheid auseinanderzusetzen, ob man in der Akutsituation eines Kreislaufstillstands reanimiert werden möchten oder nicht? Hohes Alter, Komorbiditäten und auch Gebrechlichkeit erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Kreislaufstillstands. Spätestens wenn eine solche Ausgangssituation vorliegt, ist es sinnvoll, den Reanimationsentscheid zu thematisieren – z. B. im Rahmen einer gesundheitlichen Vorausplanung – und den Willen rechtsgültig zu dokumentieren. Um die Prognose realistisch einzuschätzen, ist ein beratendes Gespräch mit einer Fachperson empfohlen. Es ist auch möglich, seinen Willen ohne fachliche Unterstützung rechtskräftig festzuhalten, z. B. in einer Patientenverfügung. Zur individuellen Chancen-Risiko-Abwägung und Unterstützung des Entscheids Rea-Ja, Rea-Nein ist ein Gespräch zwischen der betroffenen Person bzw. der rechtlichen Vertretungsperson, den Angehörigen und einer medizinischen Fachperson hilfreich. Ein Entscheid kann, auch wenn er einmal festgehalten ist, durch die urteilsfähige Person selber jederzeit geändert werden. Dies ist wiederum entsprechend zu dokumentieren.
Woran orientiert sich das Rettungsteam in der Akutsituation eines Kreislaufstillstands? Auch für Reanimationsmassnahmen gilt grundsätzlich, dass eine explizite Einwilligung in die Behandlung nötig ist. Da bei einem Kreislaufstillstand die Patientin oder der Patient nicht urteilsfähig ist, ist das Einholen einer informierten Einwilligung zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch hält in Art. 379 für diese dringliche Situation fest, dass die Fachperson medizinische Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person ergreift. Ist der (mutmassliche) Wille bekannt, haben sich alle Massnahmen daran zu orientieren. Soweit es die Umstände wie Zeitdruck, Ort des Kreislaufstillstands etc. zulassen, muss das Rettungsteam nach Hinweisen suchen, die Rückschlüsse auf den (mutmasslichen) Willen der betroffenen Person geben. Lehnt die Person Wiederbelebungsversuche ab, dürfen keine Reanimationsmassnahmen durchgeführt werden. Ist es nicht möglich, den (mutmasslichen) Willen zu eruieren, sind die Interessen der betroffenen Person massgebend: das Leben soll nach Möglichkeit erhalten, aber Reanimationsbemühungen dann unterlassen werden, wenn diese aussichtslos sind.
Welche Bedeutung/Verbindlichkeit haben DNAR-Embleme? DNAR ist die Abkürzung von «Do Not Attempt (Cardiopulmonary) Resuscitation», auf deutsch kurz als Rea-Nein bezeichnet. Gemeint ist der Entscheid einer Person, dass im Falle eines Kreislaufstillstands keine Reanimationsversuche erwünscht sind. DNAR-Embleme wie Stempel, die täglich auf der Haut angebracht werden, oder Halsketten-Anhänger bringen diesen Willen zum Ausdruck. DNAR-Embleme haben nicht dieselbe Rechtskraft wie eine Patientenverfügung, deren Geltung im Schweizerischen Zivilgesetzbuch rechtlich verankert ist. Solche Embleme sind aber ein starkes Indiz für den zu beachtenden (mutmasslichen) Willen der Person und das Rettungsteam darf sich in der Notfallsituation darauf abstützen und den Reanimationsversuch unterlassen. Bei einem Stempel handelt es sich um eine eigenhändige Zeichnung, denn ein täglich nach dem Duschen aufgetragener Stempel trägt das Datum des Tages und drückt somit den aktuellen Willen aus. Es kann aber Situationen geben, in denen das Rettungsteam aufgrund der Umstände zweifelt, ob das Emblem dem Willen der Patientin bzw. dem Patienten entspricht, z. B. wenn nahe Angehörige glaubhaft versichern, dass die betreffende Person ihren Willen geändert hat. In dieser Situation wird das Rettungsteam Reanimationsmassnahmen einleiten.
Was passiert, wenn der Patientenwillen erst nach Einleitung der Reanimationsmassnahmen bekannt wird? Stellt sich erst nach Beginn der Reanimationsmassnahmen heraus, dass diese nicht dem (mutmasslichen) Willen entsprechen, z. B. anhand einer Patientenverfügung oder aufgrund glaubhafter Aussagen von Vertretungspersonen und/oder Angehörigen, muss der Reanimationsversuch abgebrochen werden. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt bereits eine erfolgreiche Wiederbelebung eines spontanen Kreislaufs (ROSC, Return of Spontaneous Circulation) eingetreten ist, muss sich das Handeln am (mutmasslichen) Willen der betroffenen Person orientieren. Die Richtlinien halten fest, dass die bereits eingeleiteten Massnahmen (z. B. Intubation, Beatmung) bis zum Spitaleintritt weitergeführt, aber keine zusätzlichen Reanimationsmassnahmen im eigentlichen Sinn durchgeführt und bei einem erneuten Kreislaufstillstand keine erneuten und zusätzlichen Reanimationsmassnahmen vorgenommen werden. Falls die Patientin bzw. der Patient bis dann weiterhin beatmet werden muss, soll die Beatmung gestoppt und die Betreuung rein symptomlindernd erfolgen. Es ist davon auszugehen, dass eine Person, die die Reanimation abgelehnt hatte, weil sie die langfristigen Risiken (z. B. neurologische Schädigung) vermeiden will, ihren Willen in der Situation nicht ändert. Der – auch rechtlich – entscheidende Punkt ist, dass nach einer erfolgreichen Wiederbelebung des spontanen Kreislaufs die Risiken von langfristigen Schäden bestehen blieben, die die betroffene Person mit ihrem Reanimationsveto vermeiden will.
Ist es immer sinnvoll, Reanimationsmassnahmen einzuleiten, wenn die betroffene Person dies wünscht resp. wenn ihr Wille nicht bekannt ist? Der Entscheid Rea-Ja, Rea-Nein und die entsprechende Dokumentation im Patientendossier sind weitreichend. Jeder Entscheid muss deshalb auf den ethischen Grundsätzen einer guten medizinischen Praxis beruhen. Dazu zählen unter anderem der Respekt vor der Autonomie eines Menschen und die Respektierung der Prinzipien des Wohltuns und des Nichtschadens. Diese verpflichten dazu, das Leben nach Möglichkeit zu erhalten, aber auch Reanimationsbemühungen zu unterlassen, wenn diese aussichtslos sind. Die Richtlinien halten fest, dass es ethisch nicht gerechtfertigt ist, aussichtslose Reanimationsmassnahmen durchzuführen. Aussichtslose Reanimationsmassnahmen würden Patientinnen und Patienten unnötig belasten und lediglich die Sterbephase verlängern.
Ein interessantes Fallbeispiel dazu liefert folgender Artikel (3 Seiten)
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